Filmkritik: Steamboy

Ich hatte ja kürzlich geschrieben, dass ich Steamboy selbst noch nicht gesehen hatte. Mit der jetzt erfolgten DVD-Veröffentlichung in Deutschland (DVD-Kurzkritik folgt!) hat sich das geändert. Daher wollte ich meine Eindrücke loswerden.

Filmposter Technik

Eines vorweg: Ich finde, dass man diesen Film mal gesehen haben muss, wenn man sich generell für Animationsfilme begeistern kann. Das hat den Grund, dass der Detailreichtum alles übersteigt, was ich bisher in Sachen Anime (und allgemein in Sachen klassicher Animation) gesehen habe. Teilweise sind die Bilder derart detailreich, dass man überhaupt keine Chance hat, das Geschehen auf dem Bildschirm in der vorhandenen Zeit vollständig zu erfassen. Die Zeichner müssen sich totgeschuftet haben. Das exorbitante Budget und die vielen Jahre Entwicklungszeit kommen in fast jedem Frame zum Ausdruck.

Die Meckereien bezüglich der CGI-2D-Mischung, die ich immer mal wieder im Netz gelesen habe, halte ich für völlig unbegründet. Hier habe ich ebenfalls noch keinen Anime gesehen, der 3D-Grafik und klassische Animation so perfekt integriert wie Steamboy. Ein m.M. nach fürchterliches Negativbeispiel mit vergleichbar hohem Budget ist hier z.B. Ghost in the Shell 2: Innocence, der anschaulich demonstriert, was man in dieser Beziehung so alles falsch machen kann. (Nicht, dass ich den Film deshalb insgesamt schlecht fände.)

Nein, wenn es so gemacht wird wie in Steamboy, dann habe ich mit der Verwendung von 3D-Animation in Zeichentrickfilmen überhaupt keine Probleme, ganz im Gegenteil. An nicht wenigen Stellen kam ich (selbst als einigermaßen animationsfilmgeprüfter Zugucker) aus dem Staunen nicht mehr heraus. Natürlich sieht man hie und da sehr deutlich, welche Szenenteile aus dem Rechner und welche aus dem digitalen Pinsel kommen, aber die zwei Elemente beißen sich in keiner Weise, sondern gehen Hand in Hand. Gleich zu Anfang gibt es beispielsweise eine Fluchtszene, in der sich plötzlich die gesamte Innenkulisse eines Wohnhauses um die animierten Charaktere herumbewegt. Die Macher von Steamboy wissen dabei sehr genau, wie weit sie das Rad drehen können, bis der Zuschauer den “Schwindel” als störend entlarvt. Hinzu kommt, dass die verwendeten Shader sehr genau aufeinander abgestimmt sind – handgezeichnetes könnte manchmal ebensogut aus dem Rechner stammen, genau wie man sich bei manchen 3D-Sequenzen stellenweise nicht so ganz sicher ist, ob sie nicht doch gezeichnet sind.

Steamboy hat mich auch wieder daran erinnert, wieso ich vor einigen Jahren einmal damit begonnen habe, mich für japanische Animationsfilme zu begeistern. Der Einfallsreichtum in Sachen technische Konstruktionen ist absolut erstaunlich. Um mal ein Klischees zu dreschen: Wer sich Filme wie diesen anguckt versteht, warum japanische Videorekorder die Welt erobert haben. :-) So fantastisch die gezeigten Konstruktionen einerseits auch sein mögen, so natürlich und realistisch wirken sie andererseits. Fast scheint es, als hätten sich die Macher des Films sämtliche dieser dampfgetriebenen Konstruktionen vor Animationsbeginn einmal komplett selbst gebaut, um deren Verhalten und Bewegungen studieren zu können. Überhaupt macht das einen der Reize von Steamboy aus: Da es in dessen Szenario keine Elektrizität gibt, ist alles mit mechanischen Mitteln gelöst, was zu einem ganz eigenen, Jules-Verne-ähnlichen Stil führt.

Ebenfalls gefallen hat mir die Filmmusik. Sie drängt sich nicht auf, und vor Allem das Hauptthema (in der Regel während der zahlreichen Actionsequenzen zu hören) erweist sich als echter Ohrwurm. Verantwortlich hierfür zeigt sich der eher unbekannte Steve Jablonsky. (Die IMDB nennt seine Beteiligung am Soundtrack von Pirates of the Caribbean, Chicken Run und Antz.)

Filmposter 2Inhalt und Anspruch

Leider kippt meine bisher doch sehr positive Kritik an dieser Stelle eindeutig ins Minus. Die technische Durchführung ist eben doch nur die Hälfte des Films. Steamboy verlangt vom Zuschauer leider, dass er das ganze als das nimmt, was es ist: Ein optisches Spektakel (fast) ohne Anspruch. Man möge mir da nicht mit der mit dem Holzhalmmer vorgeführten “Menschen, seid nicht so fortschrittsgläubig!”-Botschaft kommen – ich finde zu einem guten Film gehört da mehr als dieses arg abgedroschene Klischee. Als extrem ennervierend empfand ich mal wieder die durchführung der Exposition, also die Vermittlung wichtiger Informationen an den Zuschauer. Da wird an einer Stelle beispielsweise von drei Personen parallel erwähnt, dass das Häusermeer, was man da gerade vor sich sieht, die Stadt London ist. “Oh, ist das London?” “Ja, das ist London!” “Wahnsinn, London!” – das Subtile feiert Triumphe. Auf ähnliche Weise werden einem ständig Informationen völlig plump aufs Auge gedrückt, dass es einem als halbwegs anspruchsvollen Filmgucker dann schon einiges an Toleranz abverlangt. Ähnliche Allüren hat ja manchmal auch Ôtomos japanischer “Berufskollege” Hayao Miyazaki, wobei es dem aber fast immer gelingt, dieses Manko mit wirklich gelungenen Storys wieder auszugleichen.

Die Story bei Steamboy hingegen ist nicht weiter interessant und scheinbar nur ein Vorwand, am Ende halb London in bester Ôtomo-Manier in Schutt und Asche zu legen, beziehungsweise – um beim Thema zu bleiben – in Schall und Rauch aufgehen zu lassen. Zugegeben, das erfolgt dann auch recht spektakulär, und wer Ôtomos Klassiker Akira kennt, der addiert in Gedanken die heutigen technischen Möglichkeiten und weiß, was ich meine. Das rettet dem Film dann letztlich auch ein wenig die Haut: Nämlich, dass zumindest die zweite Hälfte Action satt bietet, die ein ganz klein wenig über die Magerhandlung und die Durchführungsschwächen hinwegtrösten hilft. Der Film besteht im Grunde in der Zweiten Hälfte aus einem einzigen, nicht enden wollenden Ende, das von einem Actionhöhepunkt zum nächsten klettert, wobei auf jedem Höhepunkt noch mehr zu Bruch gehen muss als zuvor. Sei’s ‘drum, zumindest einmal macht es durchaus Spaß, sich von dieser Gigantomanie betäuben zu lassen. (Nennen wir es das Episode-I-bis-III-Syndrom).

Extrem genervt hat mich außerdem ausgerechnet einer der Hauptcharaktere des Films – das Mädchen “Scarlett”. Welchen Sinn das Verhalten dieser Figur haben soll, bleibt mir schleierhaft. Am Ende dient sie natürlich dem offensichtlichen Zweck, dem männlichen Helden als weiblicher Gegenpart zur Verfügung zu stehen, der sich retten lassen darf. Leider besteht die Aufgabe von Scarlett bis zu diesem Zeitpunkt einzig und alleine darin, als reichlich missglückter “Comic Relief” mit gekünstelter Hochnäsigkeit permanent vor sich hin zu nerven. Wieso man einen so häufig auftretenden Charakter wie Scarlett derart diffus und unsympatisch gestaltet hat, entzieht sich meinem Verständnis.

Stichwort Geschlechter: Steamboy ist – leider, muss ich in diesem Fall sagen – ziemlich eindeutig ein Vertreter des sogenannten “Shonen Anime”, also ein klar auf die Männer der Schöpfung ausgerichtetes Filmgenre. Das bedeutet natürlich nicht, dass weibliche Wesen an dem Film keinen Spaß haben können – sonderlich ausgewogen ist der Film in dieser Beziehung aber auf keinen Fall. Zirka eine Million Zahnräder und ebensoviele Explosionen zeichnen ein eindeutiges Bild. ;-)

So bleibt beim Betrachten des recht hübsch gemachten Abspanns dann letztlich der ziemlich schale Beigeschmack übrig, dass wieder einmal ein Team von genialen Künstlern und Technikern einem völlig unausgegorenen und abgedroschenen Drehbuch zum Opfer gefallen ist. Steamboy ist ein Film der Sorte, die man sich ansieht, damit man mitreden kann – ob er im DVD-Regal stehen muss, das muss jeder für sich selbst entscheiden.

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